Inklusion – eine Aufgabe für alle

03.12.2017

(SH-NEWS 2017/125 vom 01.12.2017)

Eine etwas persönliche Betrachtung zum Weltbehindertentag

(Red/mbg) Am 3. Dezember begehen wir den UN-Weltbehindertentag. Für mich als Betroffenen und langjährig in der Selbsthilfe Engagierten ist dieser Tag zugleich Anlass, darüber nachzudenken und zu bewerten, wie wir in Deutschland und im Freistaat Sachsen bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtkonvention (UN-BRK) vorangekommen sind und ihr Grundanliegen erfüllt haben, Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung gleichberechtigt und gleichgestellt in die Gesamtgesellschaft und in ihre Gemeinschaften einzubeziehen.

Ich glaube, dass Ausgangspunkt zur Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft die Bereitschaft der Gesamtgesellschaft sein muss, solidarisch zu sein und die Früchte des wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und ökonomischen Fortschritts zu teilen. Das betrifft den Einzelnen genauso wie die marktwirtschaftlich agierenden Unternehmen, aber auch ihre Lobby in politischen Parteien, Gremien und Verwaltungen.

Das Ausstrecken der Ellenbogen, eine betonte „Ich-Bezogenheit“, eine auf die Berufung in ein Amt, auf erlangte materielle Sicherheit oder absolvierte höhere Ausbildung gegründete Überheblichkeit gegenüber mobilitäts- oder leistungseingeschränkten Mitgliedern der Gesellschaft ist keine Basis für Inklusion.
Auch die Erwartung, dass Inklusion ausschließlich mit Gesetzen und Verordnungen oder mit Studien, Werbespots und Plakaten realisiert werden könne, halte ich für einen Trugschluss.
Solange es nicht gelingt, die Mehrheit der Gesellschaft mitwirkend einzubeziehen, Teilhabe für alle nicht als Luxus, sondern als gesellschaftliches Normal zu akzeptieren und im Bewusstsein ihrer Mitglieder zu verankern, machen wir uns selbst etwas vor.

Inklusion ist aber auch keine Einbahnstraße im Sinne, die Gesellschaft möge etwas für ihre von Behinderung und chronischer Erkrankung Betroffenen tun. Was dabei herauskommt, haben wir ja gerade in letzter Zeit an Hand einiger neu entstandener Gesetze und Regelungen gespürt, die mehr oder weniger deutlich am Bedarf und an den berechtigten Erwartungen vorbei gehen.
Wenn politisches und verwaltungsseitiges Handeln nicht an der  gesellschaftlichen Notwendigkeit, sondern an der aktuellen Kassenlage, an der Meinung selbst ernannter Experten oder ängstlicher Beamter festgemacht wird, bleiben die Grundgedanken der Inklusion auf der Strecke.

Ich halte es für dringend erforderlich, Inklusion auch intensiv „von unten“ zu gestalten. Das setzt voraus, dass die Betroffenen, ihre Vereinigungen, insbesondere im Bereich der Selbsthilfe, engagiert an ihrer Gestaltung mitwirken.
Das betrifft die eigenen Bereitschaft, mitten in der Gesellschaft leben und handeln zu wollen ebenso, wie die Bereitschaft Wünsche und Forderungen deutlich, präzise und konstruktiv in die Diskussion einzubringen und sichtbar zu machen, wo Diskrimierungen bestehen.

Letzteres wiederum erfordert, die Bedingungen zur aktiven Mitwirkung deutlich zu verbessern. Das betrifft einerseits u.a. Fristen zur Mitgestaltung der zu schaffenden Normen, zur Formulierung von Standpunkten und Stellungnahmen so festzusetzen, dass sie wahrnehmbar sind, anderseits auch die Bereitschaft der Entscheidungsträger, die Prozesse der Meinungsbildung und Mitgestaltung kontinuierlich und langfristig finanziell zu stützen.

Dabei geht es nicht um die Abschaffung des bürgerschaftlichen Engagements, sondern darum, den ehrenamtlich Mitwirkenden eine angemessene Unterstützung bei der Aufbereitung und Vertretung ihrer Anregungen und Forderungen zu gewähren. In diesem Sinne ist es z.B. auch unangemessen, bei der Übernahme der Bearbeitung gesamtgesellschaftlich relevanter Aufgabenstellungen von den ehrenamtlich wirkenden Selbsthilfestrukturen finanzielle Eigenanteile zu fordern.

Ich bin davon überzeugt, dass Inklusion gesellschaftliche Normalität werden kann, wenn wir Mehrheiten von diesem Ziel überzeugen können. Gehen wir es gemeinsam an.
In diesem Sinne einen „inspirierenden“ Weltbehindertentag und – auch das wollen wir nicht vergessen – eine besinnliche, vielleicht auch von neuen Ideen beflügelte Adventszeit.

Peter MünzbergIhr Dr. Peter Münzberg
Ehrenamtlicher Chefredakteur
Ehrenvorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Sachsen e.V. und des Landesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter Sachsen e.V.