Zum Weltbehindertentag am 3. Dezember (SH-NEWS 2018/090 vom 03.12.2018)
(Red/mbg) Heute, am 3. Dezember begehen wir mit vielen anderen Menschen mit und ohne Behinderung in vielen Ländern den Weltbehindertentag.
Er wurde bekanntlich auf Empfehlung der Vereinten Nationen (UN) ausgerufen, um zumindest einmal im Jahr an die speziellen Bedürfnisse von rund 20% der Erdbevölkerung zu erinnern und die politisch Verantwortlichen zu ermutigen, die für Gleichstellung und Teilhabe erforderlichen nationalen Regelungen zu schaffen und umzusetzen.
Im Mittelpunkt steht natürlich auch in Deutschland die Sicherung der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung an allen Lebensbereichen u.a. durch
- eine den Bedürfnissen aller Menschen entsprechende Gestaltung der Umwelt und der sozialen Rahmenbedingungen
- eine Politik und darauf basierende Verwaltungsentscheidungen, die Einschränkungen und Barrieren aller Art verhindern bzw. abbauen
- den einfachen und hinreichend geregelten Zugang zu individuellen Unterstützungsleistungen
- Gestaltung einer gesellschaftlichen Atmosphäre, die das Miteinander fördert und Ausgrenzungen ausschließt.
Wesentliche dazu erforderliche Maßnahmen enthält bekanntlich die 2009 verabschiedete UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die von der Europäischen Union (EU) und von der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ratifiziert und damit zur politischen und verwaltungsseitigen Handlungsoption erklärt wurde.
Der Freistaat Sachsen hat dazu, wie die anderen Bundesländer auch, einen entsprechenden Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK erarbeitet und in Kraft gesetzt.
Wenn wir heute, am Weltbehindertentag eine Zwischenbilanz ziehen, wie die vorgenannten Grundsätze und Dokumente umgesetzt, tatsächlich das Leben behinderter Menschen verändert und erleichtert haben, ergibt sich ein sehr zwiespältiges Bild.
Wir stellen einerseits fest, dass vorliegende politische Grundsatzerklärungen und verwaltungsseitige Einzelmaßnahmen im Sinne der UN-BRK durchaus positive Ausgangspunkte sind, jedoch immer wieder von anderen Blickwinkeln und gegenläufigen Entscheidungen ausgehebelt werden. Ich erinnere u.a. an
- die bekannten Diskussionen zur Barrierefreiheit im Bereich der Deutschen Bahn (u.a. das DB Bahnsteighöhen-Konzept)
- EU-Normen für Produkte mit dem Bezug auf deren Barrierefreiheit, die von den Herstellern ohne Mitwirkung der späteren Nutzer festgeschrieben werden
- die staatlichen und kommunalen Straßenbaulastträger, die allzu oft die barrierefreie Ausgestaltung von Straßenübergängen und von Bushaltestellen einschl. der erforderlichen Blindenleiteinrichtungen vergessen oder umgehen
- an die Reaktionen des Kommunalen Wohlfahrtsverbandes Sachsen zu erforderlichen Einzelhilfen (siehe u.a. den Beitrag des MDR "Sachsenspiegel" am 02.12.2018)
- an die Einlader zu öffentlichen gesellschaftspolitischen Bürgerveranstaltungen, die durch Nichtbereitstellung von Gebärden- und/oder Schriftdolmetschern gehörlose und schwerhörige Bürger von der Teilhabe ausschließen
- die unbefriedigenden Fortschritte bei der und den partiellen Widerstand gegen die schulischen Inklusion
- die nach wie vor beachtliche Anzahl von Menschen, die wegen einer Behinderung vom Wahlrecht ausgeschlossen ist
- die überbordende juristische Ausdeutung von Gesetzen und anderen Regelungen, die zuweilen den eigentlichen Gesetzessinn außer Kraft setzt und oft dem normalen Menschenverstand zuwiderläuft.
Alles das ist nicht geeignet, den offenbar erforderlichen, generellen gesellschaftlichen Wandel einzuleiten und aktiv zu gestalten. Da helfen uns auch Flyer und großformatige Werbeplakate nicht wesentlich weiter.
Andererseits wird es nicht genügen, wenn sich einzelne Betroffene oder einzelne ihrer Vereinigungen das Ziel "Inklusive Gesellschaft" auf die Fahnen schreiben und dazu hier und da kleine, auch örtlich begrenzte Beispiellösungen gestalten.
Was wir benötigen ist eine breite Bewegung in Politik und Verwaltung, der Betroffenen und aller Bürger mit dem Ziel, die Inklusion von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung, ihre Aufnahme in die Mitte der Gesellschaft zu vollziehen.
Das erfordert sicher auch, Initiativen von unten deutlicher zu würdigen und zu fördern.
Das setzt zugleich voraus, den damit befassten Strukturen der Selbsthilfe und Selbstvertretung finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie diesem Anspruch genügen können.
Unter diesem Blickwinkel ist es ist u.a. nicht gerechtfertigt, von den Vereinen und Verbänden, die wesentliche, die unmittelbaren Bedürfnisse ihrer Mitgliedschaft deutlich übersteigende Aufgaben zur staatlichen oder kommunalen Daseinsvorsorge und -fürsorge übernehmen, einen nicht unerheblichen finanziellen Eigenanteil und eine unbefristete, nicht honorierte Nachhaltigkeit der Wirksamkeit der erbrachten Leistungen einzufordern.
Hier sind rasche Änderungen erforderlich, die u.a. für ausgewählte Strukturen die früher gewährte institutionelle Förderung einschließen.
Nutzen wir also den heutigen Weltbehindertentag dazu, um neue Konzepte zur Inklusion von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung zu entwerfen, um Inklusion effektiv, in großer Breite zu gestalten und die Bürgerschaft unter dem Motto "Ein Mensch wir Du und Ich" für diesen Weg zu gewinnen.
In diesem Sinne gemeinsam gutes Gelingen.
Dr. Peter Münzberg
ehrenamtlicher Chefredakteur