Deutscher Bahnkundenverband e.V. stellt Analyse vor (SH-NEWS 2020/021 vom 12.03.2020)

12.03.2020

Umfrage zur Barrierefreiheit von ÖPNV/SPNV-Haltestellen und Einbeziehung von  Behindertenbeauftragten der Bundesländer

(PM DBV; Red/mbg)) Zum 1. Januar 2022 ist nach § 8 Absatz 1 Personenbeförderungsgesetz (PbefG) der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) vollständig barrierefrei herzustellen.
Das Gesetz spricht von der Nutzung – beschränkt also seinen Geltungsbereich nicht auf Bahnsteige oder Fahrzeuge. Das soll die Regel sein. Ausnahmen sind nur dann zulässig, wenn sie in einem Nahverkehrsplan „konkret benannt und begründet" werden. In diesen Fällen sind zeitliche Vorgaben und erforderliche Maßnahmen zu benennen.
Der Bahnkunden-Verband geht (berechtigt) davon aus, dass dieses Ziel ist angesichts des bisher von den Ländern und Kommunen vorgelegten Schneckentempos nicht zu schaffenist.

Eine bundesweite Umfrage unter 539 ÖPNV-Nutzern und allen 16 Behindertenbeauftragten der Bundesländer ergab ein beschämendes Bild: knapp 27 % der gemeldeten Bus-, Straßenbahn- und U-Bahn-Haltestellen sind bereits barrierefrei umgebaut oder der Umbau wird in kürzester Zeit erfolgen. 73 % sind nicht umgebaut oder ein Umbautermin ist nicht bekannt.

Die Umfrage ist nicht repräsentativ. Dennoch drücken die Antworten eine Tendenz aus: Der Termin ist nicht zu schaffen, zu groß ist die Zahl der nicht barrierefreien Haltestellen.

Für die Umsetzung und Einhaltung der Terminierung im PbefG fühlt sich keine Stelle so richtig zuständig.
Der Schwarze Peter wird weitergereicht: die Bundesregierung sieht für die Umsetzung die Bundesländer in der Pflicht,die Bundesländer weisen auf die Zuständigkeit der Kommunen hin und die Kommunen haben weder Planungskapazitäten noch Finanzen. Sie erwarten, dass ihnen von den Bundesländern bzw. aus dem BMVI die Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das BMVI verweist auf die Regionalisierungsmittel, die auch zur Erfüllung dieser Aufgabe ausgereicht würden.

So haben sich die Kommunen und die von ihnen getragenen Verkehrsverbünde seit September 2014 auf die Strategie verlegt, die im Gesetz als Ausnahme vorgesehen ist: die Beschreibung im Nahverkehrsplan, warum eine bestimmte Barrierefreiheit nicht herzustellen ist:
„Barrierefreiheit“ bleibt auch weiter ein Prozess der Annäherung an ein Ideal und ein Kompromiss zwischen den Bedürfnissen unterschiedlicher Gruppen von Menschen. Eine Freiheit von Hemmnissen für alle Formen von Behinderungen ist realistischerweise nicht zu erreichen.“ (Quelle: Barrierefreiheit im ÖPNV – Hinweise für die Aufgabenträger zum Umgang mit der Zielbestimmung des PbefG, 26.09.2014, Bundesarbeitsgemeinschaft ÖPNV).

Über die Tatsache, dass von den 16 Behindertenbeauftragten der Bundesländer nur für fünf der vollständige Umbau bis 1.1.2022 ein Thema ist (alle anderen haben nicht geantwortet), mag jeder selbst interpretieren. Worüber wir überrascht waren: auch in vielen Spitzenverbänden der Behinderten scheint das Versäumen des Termins zum Umbau kein großes Thema zu sein. Kein der von uns darauf aufmerksam gemachter Sozial- und Behindertenverband hat uns geantwortet.

So werden die Betroffenen diejenigen sein, die das Dilemma auszubaden haben. Sie werden auch nach dem 1. Januar 2022 im ÖPNV Menschen zweiter Klasse sein, wenn ihnen die Nutzung von Straßenbahn und Bus verwehrt wird.
Eine ausführliche Auswertung mit den Stellungnahmen der Behindertenbeauftragten der Bundesländer findet sich auf www.bahnkunden.de

Pressekontakt:
Frank Böhnke, DBV-Bundesvorstand Länderaufgaben, .

Kommentar:

Der Einschätzung des DBV ist zur Gesamtdarstellung der Situation nichts hinzuzufügen. Aus der Sicht des Projekts "ÖPNV/SPNV für alle" des Landesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter Sachsen e.V. war die geschilderte Situation von vorn herein zu erwarten.
Wenn Bundesgesetze gemacht bzw. novelliert werden, ohne zugleich die sachlichen und finanziellen Voraussetzungen zu ihrer Umsetzung zu klären, muss man sich doch nicht wundern. Darauf hatte auch das Projekt in seiner sach- und termingerechten Stellungnahme zur Befragung aufmerksam gemacht.

 

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